The worst crisis after independence from British Rule (1948) is shaking Myanmar. In this situation, life goes on, currently, under the auspices of the Waso Lent. Seemingly contradicting Buddhist teachings, violence marks everyday life.
Die in Myanmar seit dem 1. Februar herrschenden Umstände, immer wieder als “chaotisch” umschrieben, bringen den Menschen einen neuen, von Gefahr und Unsicherheit bestimmten Alltag. Dieser Alltag ist für geschätzte 90% der Bevölkerung vom Theravada Buddhismus geprägt.
Mit dem Juli-Vollmond „Waso“ လမြတ်ဝါဆို am 23. Juli begann die dreimonatige buddhistische Fastenzeit, einhergehend mit der intensiven Phase der Regenzeit. Nicht nur der Sangha (Orden der Nonnen und Mönche) hält die Fastenzeit ein, auch Laien bemühen sich mehr als sonst, die Regeln des Buddhismus zu beachten.
Ordensangehörige dürfen traditionell in dieser Zeit nicht reisen, sie bleiben in den Klöstern. Am Waso-Vollmond bekommen sie, oftmals in ritualisierter Form, neue Roben gespendet (robe-offering). Im Gegenzug wird den Gebenden eine Sutta (auch: Sutra), eine Lehrrede in Versform rezitiert.
Hochzeiten, Feste, Festivals und darstellende Kunst wie Theateraufführungen finden in diesen zwölf Wochen nicht statt.
In diesem Jahr, vor dem Hintergrund der Doppelsituation von Coup d’État und einer unsteuerbar gewordenen Covid-19-Lage, wurden die üblichen Waso-Urlaubs- und Ferientage bis in den späten August immer aufs Neue verlängert. Der State Administration Council (SAC), das selbsternannte Exekutivorgan Myanmars, hatte im Juli zusätzlich das islamische Opferfest Qurbani Eid zu einem Feiertag erklärt.
Der Großteil der Bevölkerung interpretiert diese “Ferien” nicht nur als Lockdown, sondern auch als politische Maßnahme seitens des SAC, um eine bisher nicht vorhandene Kontrolle über das aufgewühlte Land zu erlangen.
Buddhistische Legende
Der Waso-Vollmond selbst ist eng mit buddhistischer Legendenbildung verknüpft: Buddha soll an diesem Tag das Konzept des „Edlen achtfachen Pfades und der vier edlen Wahrheiten“ und damit die Regeln einer vorbildlichen Lebensführung in die Welt gebracht haben. Zugleich soll er das Rad des Lebenskreislaufs, „the wheel of samsara“, angestoßen haben. Das ewige Lebensrad gilt als Sinnbild für Verdienst und Belohnung, als Symbol für Schuld und Strafe. Es ist das Prinzip von Ursache und Wirkung.
Dhamma und Karma stehen im Zentrum der buddhistischen Lebensauffassung. Dhamma ist die Lehre Buddhas, die in ihrem Kern den Weg zur „Erkenntnis zur wahren Natur der Dinge“ bedeutet. Karma ist „die Energie, die aus menschlichem Handeln und ihren Folgen entsteht“. Diese Energie ist es, “die das Rad des samsara antreibt” (Sung Wook Chung: 2010). Für das Karma eines Menschen ist dabei nicht die Handlung oder die Tat selbst das Entscheidende, sondern die Absicht, mit der sie begangen wurde.
Das robe-offering bietet die Möglichkeit, die buddhistische Tugend des Mitleids in karmischen Verdienst umzuwandeln. Es ist eine ritualisierte Zeremonie, von der jährlich im Staatsmedium The Global New Light of Myanmar berichtet wird. Im letzten Jahr standen Präsident U Win Myint und State Councellor Daw Aung Sann Suu Kyi im Mittelpunkt der Berichterstattung, in diesem Jahr wurden Bilder von Senior General Min Aung Hlaing, der an anderer Stelle als coup leader bezeichnet wird, und dem SAC beim robe-offering veröffentlicht. Die Eleven Media Group (EMG) publizierte ein Foto des Managing Director der EMG in der Buddhist University of Yangon.
Gerade Menschen mit einer westlichen Perspektive gehen oftmals von der Gewaltlosigkeit des Buddhismus aus.
Als 2017/18 der Konflikt im Rakhine Staat seinen Höhepunkt an Gewalt und Vertreibung der Rohingya erreichte, griff die Harvard Divinity School diese Annahme wohl auf und führte eine kurze Fallstudie “Frieden und Gewalt im Buddhismus” am Beispiel Myanmar durch.
Hier wurde vor allem die divergierende politische Haltung innerhalb des Sangha analysiert, die sich zwischen Friedensliebe und islamophobischem Nationalismus bewegt. Das wenig beeindruckende Ergebnis lautete, grundsätzlich sei keine Religion “an sich friedliebend oder gewaltverherrlichend”; jde der politischen Gruppierungen des Sangha rechtfertige ihr Handeln aus dem Buddhismus heraus.
CDM, PDF, Pyu Saw Htee, Tatmadaw
Momentan verschärft sich die Gewalt im Land kontinuierlich. Der Widerstand des Civil Disobedience Movement (CDM) gegen das An-sich-Reißen der Macht durch den SAC ändert allmählich seinen Charakter. Ursprünglich friedlich und kreativ, haben sich viele Protestierende, die für Myanmars demokratische Zukunft demonstrierten, dem bewaffneten Widerstand zugewandt. Hier kanalisieren sich seit Monaten Wut, Empörung, auch Hass gegenüber dem Tatmadaw. Dieser bewaffnete Widerstand hat in den People`s Defence Forces (PDFs) Gestalt angenommen.
Nachdem seit Ende Februar 2021 das Militär brutal gegen den CDM vorgegangen war, rief Anfang Mai die zivile National Unity Government (NUG) die PDFs als ihren militärischen Flügel ins Leben. Diese formieren sich seitdem landesweit und größtenteils unabhängig voneinander, ohne eine gemeinsame Kommandostruktur zu besitzen. Sie sind als Keimzelle einer Federal Army konzipiert, und zwischen den lokalen Gruppen deutet sich eine starke Vernetzung an.
Die PDFs werden teilweise von ethnischen Armeen ausgebildet, die seit Jahrzehnten gegen den Tatmadaw (burmesisches Militär) kämpfen. Zu nennen sind beispielsweise die Karen National Liberation Army und die Kachin Independence Army.
Aus dem scheinbaren Nichts begann spätestens im Juni 2021 eine andere zivile Gruppe wiederum gegen die Mitglieder der PDFs mit Gewalt vorzugehen. Diese nennt sich Pyu Saw Htee. Zunächst hieß es recht ungenau, es handele sich um “Tatmadaw-nahe Gruppen”. Frontier Myanmar berichtete Mitte Juli, dass die Pyu Saw Htee der Association for the Protection of Race and Religion nahestünden, und damit einer einflussreichen, ultranationalistisch gesinnten Bewegung buddhistischer Mönche. Diese sind eher unter ihrem alten Namen Ma Ba Tha bekannt und verfemt.
PDFs und Pyu Saw Htee bekriegen sich gegenseitig mit Bombenattentaten, Brandanschlägen, Landminen und gezielten Tötungen (“targeted killings”).
Die PDFs richten diese auch direkt gegen den Tatmadaw, die Polizei, deren Einrichtungen und Informanten.
Als Antwort – Augenzeugen sprechen von einem Vorwand – wurden vom Tatmadaw, wie zuvor in anderen Landesgegenden, in Zentralmyanmar – dem so genannten Bamar Heartland – Dörfer niedergebrannt. So zum Beispiel Mitte Juni das Dorf Kin Ma (Magway Region). Die Verwüstung war so vehement, dass der Brand laut Irrawaddy (05.07.2021) vom fire-tracking-System eines NASA-Satelliten aufgezeichnet wurde. Die betroffenen Menschen stehen vor dem Nichts, Spenden aus Klöstern fangen nun die größten Nöte auf.
Zwei weitere Geschehnisse stechen hervor:
Mitte August wurden in einem Waggon des Circular Train in Yangon vier Polizisten erschossen, niemand bekannte sich zu der Tat. Vermutet werden Guerillakommandos, also militarisierte Anti-Coup Protestierende, (The Irrawaddy, 16.8.2021; Myanmar Now, 18.08.2021), die ihrerseits auf den Tod panischer Protestierender reagierten.
In Vor-Coup-Zeiten galt der Circular Train als Gelegenheit, einen Blick in das Alltagsleben Yangons zu werfen, wie eine Foto-Reportage der New York Times im Juni 2017 dokumentierte. Diese Reportage ist Geschichte. Der momentane Alltag in Myanmar ist unsicher, kompliziert-anstrengend und gefährlich geworden.
In Mandalay schossen am 27. Juli Security Forces, die in Zivil auftraten, in eine ruhig protestierende Menge. Diese hielt nahe der Mahamuni Pagode die seit Februar regelmäßig stattfindende „Mya Taung“-Demonstration ab. Zwei Menschen starben. „Mögen die Täter eines Tages von ihrem Karma eingeholt werden“, wird ein Mit-Demonstrant in Myanmar Now zitiert. Ende Juni hatte die International Crisis Group erfolglos auf die Beachtung der Verhältnismäßigkeit in Myanmar gedrungen (Briefing #168).
Der Feststellung, in Myanmar herrsche “eine weitverbreitete Ignoranz zahlreicher buddhistischer Lehren” (Michael Jerrison: 2017) ist somit wenig entgegenzusetzen. In der buddhistischen Fastenzeit, die in diesem Jahr mit dem Vollmond am 20. Oktober enden wird, setzen sich die gewaltsamen Konflikte in Myanmar fort, und sie verschärfen sich.